Den Jahren Leben geben

Bettina Brökelschen, Foto: Manuela Herdrich

Bettina Brökelschen heute, Foto: Manuela Herdrich

Begleitet von frischem Kaffeeduft und mit einem strahlenden Lächeln begrüßt mich die Dortmunder Künstlerin Bettina Brökelschen zum Interview. Sie ist bekannt durch zahlreiche Ausstellungen ihrer farbintensiven, in leuchtenden Tönen gestalteten Bilder von typischen Dortmunder Wahrzeichen und BVB-Spielern. Aber auch durch ihre abstrakten Bilder und Illustrationen in Kinderbüchern. Aktuell arbeitet sie an einem Bild für das Konzerthaus Dortmund.

Wenige Wochen zuvor begegne ich Bettina Brökelschen in einem ihrer ehrenamtlichen Malkurse. Ihr sympathisches, warmherziges Wesen hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einige ihrer Werke kenne ich aus der

Wohnzimmer Cafébar in Dortmund von Bettina Brökelschen

Tagespresse. Die meisten Bilder spendet sie für gute Zwecke. Die Erlöse aus ihren Spendenaktionen kommen in voller Höhe dem Kinderschutzbund, der Obdachlosenhilfe, der Aidshilfe, roterkeil.net und anderen Hilfsorganisationen zugute.

Von ihrer Krankheitsgeschichte erfahre ich erst später. So sieht also ein Mensch aus, der den Tod bezwungen hat. Dass sie dem Sensenmann bereits zweimal die lange Nase gezeigt hat, merke ich ihr nicht an.

Rund zwanzig prall gefüllte Ordner mit Zeitungsmeldungen spiegeln das bisherige Leben der erfolgreichen Malerin wider, zu dem auch ein großer Kreis prominenter Menschen, wie Günter Jauch, Ranga Yogeshwar, Verena Pooth, Luigi Colani, Ingo Appelt und Jean Pütz zählen. Im Interview erzählt sie mir, wie sie es schaffte, zu überleben und weshalb es ihr jetzt besser geht als je zuvor.

Die Diagnose: Krebs

Bettina zwischen den Chemo-Behandlungen

2002 erhält sie die erste Diagnose: Unterleibskrebs. Bettina Brökelschen fühlt, „Es geht um Leben und Tod“. Sie verändert ihr Leben grundlegend, zieht von Lünen zurück nach Dortmund und konzentriert sich auf sich selbst. Die gelernte Werbezeichnerin bildet sich fort und eignet sich kaufmännisches Wissen an, um 2004 die Brökelschen Malschule zu gründen. Zur Entspannung malt sie viel. Es folgen Chemotherapien mit den üblichen schweren Nebenwirkungen.

2006 der nächste Schock: Brustkrebs. Aufgrund der Größe und des starken Knotenbefalls bedeutet es das Todesurteil. Die Künstlerin ist am Tiefpunkt ihres Lebens angelangt. Die Ärzte prognostizieren ihr maximal weitere fünf Jahre Lebenszeit, wenn überhaupt. Erneut unterzieht sie sich der harten Chemo-Therapie und leidet unter sämtlichen Nebenwirkungen. Sie zeigt mir ein Foto aus der schlimmsten Zeit: Statt langer blonder Haare Glatze und massive Gewichtszunahme. Die Nebenwirkungen der Behandlung sind nicht zu übersehen. Operationen schwächen den geschunden Körper zusätzlich – nicht alle davon waren notwendig, doch mit einer Todgeweihten lässt sich auch Geld verdienen.
Als Freischaffende kann sie nicht mehr arbeiten. Verbindliche Termine für Malkurse sind unmöglich. Bettina Brökelschens körperliche Verfassung bestimmt ihre Tage. Nichts ist langfristig planbar. Zur Lebensbedrohung gesellen sich existenzielle Sorgen. Es folgt ein mehrjähriger Spießrutenlauf mit der deutschen Bürokratie, bis ihre Schwerbehinderung anerkannt und ihr Lebensunterhalt durch eine kleine Erwerbminderungsrente gesichert ist.
Das war 2006. Sie lebt immer noch. Wie hat sie das geschafft?
Ihre Antwort berührt mich sehr: „Ich habe von allen Seiten Hilfe bekommen. Alles, was ich irgendwann mal gegeben habe, bekam ich dreifach zurück. Für jedes Problem tauchte ein ´Engel` auf.“ Sie hat gelernt, Nähe zuzulassen und Hilfe anzunehmen. „An schlechten Tagen waren immer Freundinnen für mich da, um mich durch schlimme Momente zu begleiten oder die alltäglichen Einkäufe zu erledigen. Doch irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich hatte keine Kraft, weiter um mein Leben zu kämpfen. Meine Tage bestanden nur noch aus Schmerzen, Liegen und Leiden.“ erzählt sie mit ihrer sanften Stimme.

Bettina beschließt zu sterben

2009 schließt die Frau mit den strahlend blauen Augen innerlich mit ihrem Leben ab. Sie will sterben und lässt los – auch ihren damals noch minderjährigen geliebten Sohn, der ihr bis hierhin die Kraft zum Durchhalten gab.

Kaum hat sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden, erreicht sie ein Anruf vom Kulturbüro Dortmund. Ein weiterer Traum wird wahr: In drei Monaten kann sie im Torhaus Städtische Galerie Rombergpark ausstellen. Doch die Künstlerin hat kaum noch Bilder: „Um nicht darin zu ersticken, habe ich die meisten Werke gespendet.“ Den Traum von der Ausstellung im Torhaus möchte sie sich unbedingt noch erfüllen, bevor sie für immer aufgibt. Trotz ihrer physisch, wie psychisch schlechten Verfassung greift sie zum Pinsel und malt. „Der Trübsinn war wie weggeblasen“ sagt sie. Die Arbeit gibt ihr Kraft. Sie malt in den nächsten Wochen etwa zwanzig Bilder und fertigt einen Katalog dazu an. „Die Ausstellung mit über 2900 Besuchern war das reinste Lebenselixier. Ich musste einfach malen.“

„Wenn eh nichts mehr geht, kann ich auch noch alle offenen Wünsche erledigen“ und so erfüllt sie sich, als sich ihr Zustand in der chemofreien Phase ein wenig stabilisiert, einen lang gehegten Traum. Sie fliegt fast ohne Geld für vierzehn Tage nach New York – allein. Sie besucht mit der U-Bahn, soweit es die Krankheit zulässt, Brooklyn, Manhattan, Harlem und die Bronx. Die Neugier treibt sie an, gibt ihr die Kraft, die sie eigentlich nicht mehr hat. Sie besucht das Theater, lernt viele Menschen kennen. „Ich hatte vor nichts Angst, denn ich hatte ja nichts mehr zu verlieren“ fügt Bettina Brökelschen mit leuchtenden Augen ihren Erzählungen hinzu. Sie trotzt der Krankheit und ist glücklich.

Leben mit Schmerzen

Die Künstlerin will leben. Langsam setzt sie ihre starken Medikamente ab. Infolge konzentriert sie sich mit Unterstützung durch Freundin Petra auf die Möglichkeiten der Naturheilkunde. Sie liest viel über alternative Heilmethoden und Psychologie. Sie stellt ihre Ernährung um. Die Malerin wird zur Expertin ihrer Krankheit. Mit den Langzeitfolgen der jahrelangen Medikamentierung – Schmerzzustände durch Nervenendungsstörungen, Arthrose 4. Grades und ein insgesamt angeschlagenes Nervenkostüm – arrangiert sie sich Tag für Tag, ebenso mit zwei bis drei Arztterminen pro Woche. Trotzdem strahlt die Malerin jede Menge Zuversicht und Optimismus aus. Mit den Schmerzen hat sie zu leben gelernt. Der Körper gibt den Lebens-Rythmus vor.
Lebensqualität bedeutet für sie heute gute Ernährung, Konzertbesuche, Neues lernen und die Teilnahme an möglichst vielen Events. Bilder und alles, was andere Künstler darstellen, empfindet sie als Genuss, doch auch kleine Dinge wie ein Vogelzwitschern, ein gutes Glas Wein, die Sonne auf ihrem Balkon oder ihr zufrieden schnurrender Kater Rocky gehören dazu. Das Malen hat weiterhin einen festen Platz in ihrem Leben oder um es mit Bettina Brökelschens Worten zu beschreiben: „Ich male, damit ich heil bleibe“. Auf ihrer Website schreibt sie: „Ich kommuniziere durch meine Kunst. Ich versuche, Impulse zu geben. Statt mit Worten erzähle ich Geschichten mit meinen Bildern. Malen ist für mich so selbstverständlich wie Essen, Trinken, Schlafen. Ich male, also bin ich!“

Den Menschen möchte sie auf den Weg geben: „Konzentrieren Sie sich auf die schönen Momente und leben Sie Ihre Träume.“

Mädchen mit Hund und Katze

Mädchen mit Hund und Katze

Text: Annette Mertens
Fotos: Bettina Brökelschen, Portrait (oben) Manuela Herdrich

32 Gedanken zu “Den Jahren Leben geben

  1. Pingback: Ruhrköpfe – Mit Köpfchen gebloggt | Blogspione

  2. Pingback: 5 Jahre #Ruhrköpfe | Ruhrköpfe

  3. Eine beeindruckende Frau mit einer berührenden Geschichte und sehr viel Stärke und Mut! Da werde ich demütig und schäme mich, dass ich oft wegen „gewissen“ Einschränkungen wegen Knieschmerzen nicht immer tun und lassen kann, was ich will und herum lamentiere! Ich bewundere Menschen, die mit so einem Schicksal oder Krankheit so gut umgehen können und sogar noch etwas „daraus machen“.
    Viele Grüße, Sigrid

    Gefällt 1 Person

  4. Eine schöne Geschichte … Zwei Sätze sind mi ins Auge gesprungen: „Ich hatte vor nichts Angst, denn ich hatte ja nichts mehr zu verlieren“ bringt zum Ausdruckt, dass man viele interessante Sachen nicht erlebt kann, wenn man sich selbst durch seine Ängste blockiert. Natürlich ist dies keine Aufforderung, nicht vorsichtig zu sein, aber wenn man überall nur gefahren wittert, kann das die Entwicklung doch deutlich hemmen …
    Und auch ein anderer Satz hat meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt: ,,Operationen schwächen den geschunden Körper zusätzlich – nicht alle davon waren notwendig, doch mit einer Todgeweihten lässt sich auch Geld verdienen.“ Dieser Hinweis auf die Übertragung der ,,Schuld“ an den Operationen auf die ,,geldgierigen Ärzte „, die selbst vor Todgeweihten nicht haltmachen würden, finden wir Ärzte oft vor. Die Unterstellung negativer Intentionen mag zwar helfen, mit seiner Krankheit besser fertig zu werden, weil man zumindest einen Teil der Ursache des Leidens auf jemanden anderen abschieben kann, aber Schuldzuweisungen sind nicht gerade ein Königsweg bei dem Coping mit seiner Erkrankung, zumindest dann nicht, wenn sie auf Vermutungen basiern…
    Klasse hingegen die Möglichkeit, mit Tätigkeiten, die einem Spass machen und ausfüllen, wie in diesem Falle das Malen, gegen die negativen ,,Schwingungen“ der Krankheit anzugehen und sich selbst wieder etwaszu stärken! Eine Geschichte, die Mut macht!

    Alles Liebe und die besten Wünsche, Nessy von den happinessygirls

    Gefällt 2 Personen

    • danke, liebe Nessy. Ich stimme dir völlig zu, Schuldzuweisungen bzw. die Verantwortung für sich auf andere abzuwälzen, ist der falsche Weg. Soweit mir bekannt, handelt es sich hierbei nicht um Mutmaßungen, sondern um Eingriffe, die zu diesem Zeitpunkt nicht hätten ausgeführt werden dürfen. Oftmals ist es für PatientInnen schwierig zu beurteilen, welchem Arzt sie/er vertrauen kann, wenn das eigene Leben in Gefahr ist. Naja, hinterher ist man/frau immer schlauer…
      Liebe Grüße und auf bald, Annette :-)

      Gefällt 2 Personen

  5. Sehr berührend, ihre Bilder gefallen mir unheimlich gut. Du hast das super gemacht, man schwankt zwischen Gänsehaut über ihr Leid und Bewunderung ihrer Kunst hin und her. Gesunde vergessen all zu oft, wie schlimm Schmerzen und Krankheiten sein können, ich wünsche der Künstlerin viel Kraft und weiterhin Willenskraft. :)

    Gefällt 1 Person

  6. Pingback: Huch, das ging ja fix: 1 Jahr “Ruhrköpfe” | Ruhrköpfe

  7. ein bewegendes portät!
    und als „dortmunder mädel“ ist mir bettina brökelschen durchaus (von früher) bekannt.
    ich wünsche ihr weiterhin viel kraft, sonne & freude am leben und malen.

    dies ist überhaupt ein tolles blog, annette.
    weiter so!

    Gefällt 1 Person

  8. Es ist ein wunderbares Projekt mit Menschen, die etwas bewegen und neue Wege gehen. Liebe Annette Du machst das großartig und ich glaube Du wirst noch viel bewegen. Die Idee ist so gut, weil es wiederum andere Menschen inspiriert, nicht aufzugeben und an sich zu glauben. Freue mich schon auf den nächsten Beitrag >>>>>weiter so !!!!

    Gefällt 1 Person

Ich freue mich auf deinen Kommentar. Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden.