Wenn der Kuhstall zum Laufsteg wird – ein Leben zwischen den Gegensätzen

Eva Horstick Schmitt

Foto: Eva Horstick-Schmitt

Dortmund. In einem Sprichwort aus dem italienischen Friaul heißt es „Um das Schöne zu erkennen, muss man das Hässliche gesehen haben.“

Eva Horstick-Schmitt passt in keine Schublade. Ihre berufliche Karriere beginnt in einem Fotogroßraumstudio. Anschließend arbeitet sie in einem Verlag. Bei „Laudert“ stellt sie Druckvorlagen her. Die gebürtige Münsterländerin träumt schon lange von der Selbstständigkeit. Sie kündigt ihren Job, gründet ihr eigenes Unternehmen und wird schwanger.

„Als Alleinerziehende musste ich meinen Job selbst erfinden“

erzählt Eva. Sie beginnt mit der Organisation und Choreographie von Modenschauen. Anfang der 80er Jahre plant sie ihr erstes größeres Projekt: Eva fotografiert Models an untypischen Orten, beispielsweise einem Abstellgleis. Bei der Entwicklung im Labor verschwinden die analogen Filme. Statt dessen bekommt sie die Fotos eines Chinesen ausgehändigt.

Fünf Wochen Arbeit – einfach weg

Die Fotos sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. „Ich habe anfangs viele Fehler gemacht. ´Learning by doing` gestaltete sich zu meinem Lebensmotto.“ erzählt die Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes.

Ihre Choreographien erzählen Geschichten

Sie verknüpft Widersprüchliches: In einer Show treten Rapper aus New York neben Opernsängern, einem Ballett und einem Musiker an der spanischen Gitarre auf. Designermode präsentiert sie zwischen dem Duft von Pferdeäpfeln in einer Reithalle, einem Kuhstall oder auch im Schwimmbad. Während über neunhundert Zuschauer im großen Stall sitzen, schauen die Kühe neugierig von der Weide herüber, wie Models auf hochhackigen Schuhen elegant ihren Catwalk auf dem Stallboden absolvieren.

Kunstshirt-Edition von Eva, Foto: Eva Horstick-Schmitt

Limitierte Kunstshirt-Edition von Eva, Foto: Eva Horstick-Schmitt

An Ideen mangelt es nicht

Einige sind so gut, dass Eva von potentiellen Auftraggebern kopiert statt engagiert wird. Trotzdem macht sie weiter. Statt aufzugeben, organisiert Eva Shows für Designerinnen und auf der CPD (Collection Première Düsseldorf). Nebenbei verdient sie Geld mit Mode-Portraits von Frauen.

Phönix-Gelände in Dortmund, Foto: Eva Horstick-Schmitt

Phönix-Gelände in Dortmund, Foto: Eva Horstick-Schmitt

„Der Kunstsammler und Galerist Johannes Wasmuth prägte meinen Weg“

Bei dem bereits verstorbenen Leiter des Bahnhofs Rolandseck lernt sie, sich auszuprobieren und bekommt einen wichtigen Einblick in die Welt der Kunst.

Es dauert vier Jahre, bis sie endlich von ihrer Arbeit leben kann

Nach dreizehn sehr erfolgreichen, arbeitsintensiven Jahren steht Eva körperlich kurz vor dem Zusammenbruch. Die Renovierung eines alten Holz-Hauses gemeinsam mit ihrem neuen Partner kostet zusätzlich Kraft – Kraft, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hat. Sie plant den Ausstieg aus der Branche des Glanzes und Glamour. „Die Models hielten mir schon Essen vor die Nase, weil ich nur noch 45 Kilo wog“ fügt Eva hinzu.
Das gibt ihr zu denken. Ende der 90er Jahre organisiert sie ihre letzte Modenschau und konzentriert sich seitdem auf das Fotografieren.
Mit Anfang Vierzig absolviert die vor Ideen sprudelnde Frau innerhalb von zweieinhalb Jahren das Studium in der Fachrichtung Kommunikations- und Fotodesign an der FH Dortmund. Neben dem Studium platziert sie Fotoserien in verschiedenen Magazinen.

Die Diplom-Arbeit schreibt sie im Kosovo

Die Zeit im kriegsgebeutelten Kosovo und ihre Reisen in Krisengebiete prägen die international tätige Künstlerin. Es folgen Installationen über Menschenhandel, Krieg und häusliche Gewalt. Die Welt des schönen Scheins, in der sie selbst schon viele Jahre arbeitet, stellt sie der Welt des Schreckens gegenüber. Evas erste Ausstellung über das Thema, das ihr sehr am Herzen liegt, wird 2003 in einer kleinen Berliner Galerie eröffnet.

Kosovo 2002, Foto: Eva Horstick-Schmitt

Kosovo 2002, Foto: Eva Horstick-Schmitt

Gegen das Vergessen

„Als Künstlerin ist es mir wichtig, mit meinen Fotos die Verantwortung der Menschen im Kampf gegen den Krieg wahrzunehmen: Models, die für die Konsumwelt stehen, statte ich mit Kriegsutensilien aus, um die Zusammenhänge und die Perversion des Krieges zu verdeutlichen.“ ergänzt Eva.

„Photo meets Manga“

Die übermalten Bilder – Mangas in Fotokunst – laden den Betrachter zum Nachdenken ein: „Es ist eine Serie, bei der wir begreifen können, dass es in der Kreativität keine Grenzen geben darf.“ erzählt mir Eva begeistert.
Sie will mit ihren Werken den Einfluss des Ostens auf den Westen darstellen, einen Blick auf die Welt schaffen, die den Krieg ablehnt und sich für den Frieden engagiert. Auf einem der Bilder stellt Eva eine „Manga“ vor die israelische Mauer und lässt sie mit ihrem Blick die Freiheit suchen.

Dortmund wird Heimat

Viele ihrer Fotoserien entstehen auf alten Industriebrachen der Region. Einen Teil der Ruhrgebiets-Motive verarbeitet sie, neben Bildern aus der Welt des schönen Scheins, auf ihren selbst gestalteten Kunst-Shirts. Die nach Fair-Trade-Bedingungen gefertigten und limitierten Shirts können auf Anfrage bei Eva erworben werden.

Limitierte Kunstshirt-Edition von Eva, Foto: Eva Horstick-Schmitt

Limitierte Kunstshirt-Edition von Eva, Foto: Eva Horstick-Schmitt

1997 startet sie das Projekt „Aschenpüttel – 5 Min. für ein Mädchen von Morgen“ und „Töchter des Reviers „, aus dem 2010 das Interview-Projekt „Töchter“ entsteht. Aktuell sucht die Fotodesignerin hierfür Bilder junger Frauen, die sich in ihren Zimmern selbst fotografieren. Es geht um Träume, Wünsche, Ängste und Hoffnungen junger Menschen. Sie plant eine Ausstellung darüber mit bereits erstellten Interviews und Portraits.

„Geh, auch wenn ein Tor ohne Kontur ist“

Evas Zitat ist auch ihr Lebensmotto. Sie verliert sich nicht in Zweifeln, sondern setzt ihre Ideen in die Tat um.
„Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen und sich selbst ein Bild vor Ort zu machen.“ ergänzt sie. Sie lebt dafür eine Zeitlang in New York, London und im Kosovo. „Die vielen Umzüge ermöglichten mir nicht nur die Spontanität, mich kurzfristig auf neue Situationen einzustellen, sondern eröffneten mir viele Möglichkeiten für meine Arbeit als Fotografin.“

Zahlreiche Ausstellungen von Dortmund bis New York säumen inzwischen Evas Weg. Zu viele, um sie hier alle aufzulisten. Wer mehr erfahren möchte, findet weitere Infos unter www.photoarchitektur.de

Text: Annette Mertens
Fotos: Eva Horstick-Schmitt

56 Gedanken zu “Wenn der Kuhstall zum Laufsteg wird – ein Leben zwischen den Gegensätzen

  1. Wieder einmal eine spannende Persönlichkeit, die ich hier bei dir entdecken durfte. Immer wieder erstaunlich, welche Lebenswege es gibt und wie kreativ und inspirrierend die Menschen sind, die diese Lebenswege gehen.

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  2. Es gibt da so unglaublich viele Parallelen zu meinem Leben, dass Eva glatt eine Schwester von mir sein könnte, obwohl wir sehr unterschiedlich mit den Dingen umgehen. Den Spagat zwischen dem Hässlichen und dem Schönen hat sie inspirierend umgesetzt (was ich nicht könnte) und doch scheint sich weder vor dem Einen noch dem Anderen zu resignieren. Eine sehr interessante Frau! Dankeschön für den Beitrag liebe Annette!

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  3. Pingback: „Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen und sich selbst ein Bild zu machen“. | Ruhrköpfe

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