„Bis zur Rente im Büro? Bloß nicht!“

Sandra mit ihrem Hund Wesley, Foto: privat

Ein wolkenbedeckter, milder Tag im Mai: An einem meiner liebsten Orte, dem Rombergpark, weht mir schon auf dem Parkplatz am Dortmunder Zoo der Fliederduft entgegen. Auf dem kurzen Weg zum Café Orchidee blüht der Rhododendron in allen Farben und Formen. Ich bin mit Sandra Vahle zum Interview verabredet.

Sandra ist die mittlere Tochter eines Lehrerpaars. Als Kind träumt sie von der Schauspielerei: „Mit der Haarbürste als Mikro übte ich damals vor dem Spiegel meine Oscar-Ansprache“, erzählt sie lachend. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie in ländlicher Umgebung. Tiere gehören zu ihrem Leben immer dazu. Ihr Berufswunsch wechselt über die Jahre zu Tierärztin und Stewardess.

Nach ihrem Abitur kommt alles ganz anders: Sandra beginnt ein Sprachstudium in Köln, belegt Italienisch, Französisch und Anglistik. Nach wenigen Monaten bricht sie ab. Das Heimweh zu Familie und Freunden ist einfach zu groß. Sie zieht schnell zurück nach Dortmund und absolviert statt dessen an der FH Dortmund das Studium zur Diplom-Betriebswirtin.

„Alle sagten immer, damit könne ich Karriere machen und viel Geld verdienen“

Die Realität sieht anders aus: Mit ihren damals 24 Jahren ist sie vielen Arbeitgebern, trotz guter Abschlussnoten, zu jung. Sandra arbeitet zunächst als Praktikantin. Während des zweiten Praktikums wird sie eingestellt und nach einem halben Jahr wieder entlassen. Weitere drei Monate verbringt sie mit der Arbeitssuche. Neben vielen Bewerbungen entdeckt Sandra das Schreiben für sich. Die Idee zu ihrem ersten Werk, dem Rachebuch, wie sie es nennt, entsteht aus den ernüchternden Erfahrungen als Berufsanfängerin mit einer mindestens Fünfzig-Stunden-Woche.

Eine neue Anstellung bei einer Werbeagentur, die für Film und Fernsehen produziert, bremst das Schreiben aus. Dreizehn Monate gibt Sandra im neuen Job Vollgas. Viel Arbeit für wenig Geld. Bei der Einstellung hatte man ihr eine Beteiligung versprochen, auf die sie ewig hätte warten können, wie sich später zeigt. Sandra lernt viel in dieser Zeit. Eine ihrer wichtigsten Erfahrungen:

Scheinbar utopische Ideen in die Tat umsetzen

Sie begreift, wie das System des selbst gewählten, modernen Sklavenhandels funktioniert und kündigt.

An ihrem Buch arbeitet Sandra gelegentlich weiter. Ihr beruflicher Weg führt sie hingegen in ein großes, weltweit arbeitendes Industrie-Unternehmen, in dem sie als ‚Business Analyst Marketing’ arbeitet. Sie verdient gut, kann sich viel leisten, reisen, shoppen usw. Viele träumen von so einem Leben. Doch Sandra fragt sich immer öfter:

Soll es das jetzt schon gewesen sein?

Und kündigt nach fünf Jahren.

Buchcover: Pascal Nordmann http://www.pascal-nordmann.de/

„Anfangs traute ich mich gar nicht, mein erstes Buch zu veröffentlichen. Ich hatte große Angst vor schlechten Rückmeldungen oder Shitstorms“, erzählt sie weiter. Mithilfe der Abfindung aus dem vorherigen Job nimmt Sandra all ihren Mut zusammen und springt als Autorin ins kalte Wasser: Sie schreibt und feilt über ein Jahr Tag und Nacht. Ihr Erstlingswerk, das Rachebuch, veröffentlicht sie im März 2015 mit dem Titel „Otto hat Flick Flacks gekauft“. Sie wächst immer mehr in ihre neue Rolle als freiberufliche Autorin, schreibt momentan an ihrem zweiten Roman, einem Psychothriller, den sie bis Ende 2016 fertig stellen möchte.

Parallel kellnert sie, arbeitet als Ghostwriterin und freie Texterin 

eBook Geheimtipp, Logo: Helena Hilgenberg

 

Aktuell entwickelt Sandra gemeinsam mit Grafikerin Helena und IT-Spezialist Jens ein neues Projekt, den „eBook-Geheimtipp – Wir fischen Perlen aus dem Ozean„. Täglich veröffentlicht das Dreier-Gespann seit dem 1. Juni einen eBook-Tipp aus den jeweiligen Buch-Kategorien.

Mit Freundin Steffi aus München schreibt sie an einem Single-Ratgeber, der voraussichtlich Ende Juni erscheinen wird. „Seit einem Interview sind wir gute Freunde. So entstand die Idee, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Es ist ein Survival-Guide für Singles“, verrät Sandra mir vorab.

Ihre Träume für die Zukunft: 

„Eine Familie gründen. Mehr Zeit für die Recherche, um noch intensiver in die Rollen meiner Protagonisten eintauchen zu können. Mehr reisen wäre schön. Noch mehr freue ich mich jedoch über viele begeisterte Leser“.

Sandras Lebensmotto, das mir aus der Seele spricht: „Probier’s aus! Nicht vorher schon alles zerreden. Try it! Try it! Try it!“

Weitere Infos unter https://changeyourdestinyblog.wordpress.com/

Text: Annette Mertens                                                                                                                                   Fotos: privat
Buchcover: Pascal Nordmann http://www.pascal-nordmann.de/
Logo „eBook Geheimtipp“: Helena Hilgenberg

„Lieber weniger Geld und mehr Zeit“

81 Gedanken zu “„Lieber weniger Geld und mehr Zeit“

  1. man o man, ist ja ein freudiges leben!! wieso allerdings wird ständig auf dieser auf das ego bezogene lebensweise gesetzt? ist es in euren berufen so schwierig vertrauen unter den mitarbeitern zu finden? muss sich jeder schulterpolster anlegen um zu überstehen? Z.b. sind doch ärzte intelligente menschen, denen man unterstellt, sie seien mit der seele bei der arbeit. doch sind es menschen, mit denen, an denen gearbeitet wird! auch in anderen berufen, in büros etc. sitzen junge gebildete menschen, für die allerdings nur ihr eigener vorteil gilt!! (mobbing) ein betrieb scheint nur die spitze zu besitzten und „Untergebene“ die sich nach oben kämpfen wollen, (sollen), wobei es dieses „Oben“ garnicht für sie gibt!
    welchen träumen läuft diese generation nach?? Kommunikation ist ein Schlachtfeld!! allerdings geht es nicht um menschen, oder!!?
    ich könnte mich noch weiter auslassen, jedoch sind worte nicht unbedingt mein ding!!

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    • Ich kann nur für den Bürosektor sprechen, und dort gelangen junge gebildete Menschen in ein System, was meist nur wenig Freiheit erlaubt. Flache Hierarchien und ergebnisorientiertes Arbeiten würden sicher egobezogene Machtkämpfe mindern.

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  2. Spannend. Das klingt nach guten neuen Wegen.
    Mir fiel auf, dass Sandra es schaffte eine Abfindung zu erhalten, als sie selbst kündigte. Wenn Sie mir ihre Strategie dahin verraten würde, fände ich das toll. Da habe ich wohl einen blinden Fleck und komme nicht weiter ;)

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  3. Liebe Annette,

    viele junge, studierte Menschen werden heute gleich zu Beginn ihres Arbeitslebens ausgebeutet, benutzt, verbrannt. Die wahre Seite der ach so heilen Berufswelt, mit all ihren Zertifizieruungen, Betriebsvereinbarungen und dem „Ach-was-sind-wir-toll“-Selbstbild.

    Dem entgegenzusteuern braucht es in meinen Augen sowas ähnliches wie einer neuen 68iger-Generation. Leider ist da noch nicht viel zu sehen.

    So kann jeder nur sehen, dass er/sie die Kurve für sich selbst bekommt. Sandra scheint das ganz gut zu gelingen.

    Liebe Grüße
    Volker

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  4. Eine interessante Lebensgeschichte! Sandras Lebenslauf erinnert mich ein wenig an meine Berufsanfänge. Nur hatte ich nicht 50 , sondern 120 Stunden Wochen. Wir arbeiteten bis zum Rand der Erschöpfung… Deshalb kann ich diesen Weg gut nachvollziehen. Heute sind die Medizinstudenten viel selbstbewußter, was zum Teil gut ist, zum Teil aber auch ein wenig übertrieben. Da heißt es dann ,,Anamnesen (= Krankengeschichten erheben) mach ich nicht! Hab´ich schon einmal gemacht, kann ich schon! Zur Visite kann ich auch nicht mitgehen, wir müssen erst frühstücken…“ Aber es gibt natürlich auch pflichtbewußte, super Medizinstudenten, die freiwilig für eine OP 3 Stunden länger dableiben.

    Aber generell finde ich es natürlich sehr wichtig, seine ,,Untergebenen“ nicht auszunutzen, sondern sie in ihrem beruflichen Werdegang zu unterstützen. Allergisch reagiere ich, wenn ich sehe, dass Angestellte künstlich ,,klein“ gehalten werden. Ich finde es klasse, wenn alle nach ihren Möglichkeiten mitdenken ,,dürfen“. Natürlich fällt da hin und wieder einmal Mehrarbeit an. Das sollte dann aber an anderer Stelle ausgeglichen werden und schon gar nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden – was leider in manchen Branchen üblich ist! Allen ein tolles Wochenende, Nessy von den happinessygirls

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    • Liebe Nessy, danke für deinen ausführlichen Kommentar. Je nach Branche ist das Arbeitspensum natürlich unterschiedlich und ich bin voll bei dir, was eine gesunde Mischung aus Eigenverantwortlichkeit und Pflichtbewusstsein anbelangt. Persönlich bin ich kein Befürworter von zu viel Mehrarbeit, denn die Konzentration und Leistung leidet darunter und Erholungsphasen sind wichtig für Körper und Geist.
      Ich denke, dass „Arbeit“ in vielen Branchen, vor allem in der Bürobranche, neu definiert werden sollte, sodass sinnhafte Arbeitsplätze zu fairen Konditionen gestärkt werden können und unsinnige und unfaire eliminiert werden können. In der Medizinbranche gibt es diese Diskussion um den Begriff „Arbeit“ natürlich nicht, da ihr durchweg Sinnvolles tut – da geht es um faire Arbeitszeiten zu einem fairen Gehalt. Es wird viel von euch abverlangt, davor ziehe ich meinen Hut – finde das sehr bewundernswert!
      Liebe Grüße und ein ebenso ein schönes sonniges WE!

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      • Liebe Nessy, liebe Sandra, ihr habt es beide gut auf den Punkt gebracht. Danke für eure Statements und einen schönen Samstag aus der trubeligen Dortmunder City (hier kreisen seit gestern Abend die Helikopter), Annette

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      • Vielen lieben Dank! Egal, welche Branche, faires Verhalten, so banal das klingt, ist immer angebracht, egal ob es um Arbeitszeiten, Wertschätzung oder Verständnis und Unterstützung geht, dann ist auch vieles zu bewerkstelligen…. Alles Liebe, Nessy

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      • Ein interessanter Findungs-Weg mit vielen „Nebenschauplätzen“. Arbeit, faire Bedingungen, entsprechender Lohn – das sind sicherlich wichtige Aspekte, die immer wieder neu ausgelotet werden.

        Doch wenn ich in andere Länder blicke (und ich komme nicht umhin, das zu tun) , sind wir noch sehr gut dran. Was mich ein wenig befremdet (und diesen Trend beobachte ich seit einigen Jahren) ist die Koppelung von Job – wenig Aufwand – viel Geld.
        Es gibt Berufe, zu denen muss man berufen sein. Da kann man nicht mit dem, Blick auf die Uhr die „kelle“ fallen lassen und den Feierabend einläuten.

        Ich wünsche dir mit dem Schreiben weiterhin viel Erfolg.
        In sechs Wochen höre ich auf zu arbeiten und werde mich dem Schreiben auch wieder mehr widmen können (obwohl mir das Aufhören gerade im Magen liegt – aber da muss ich jetzt durch) :-).

        LG Anna-Lena

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        • Hallo liebe Anna-Lena. Arbeit ist für viele inzwischen die neue Religion. Gleichzeitig entwickelt sich eine Gegenbewegung: Mehr Menschen, die selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihren Talenten, ihren Berufungen folgen wollen und dafür – gerne – Geldeinbußen in Kauf nehmen. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, weniger zu arbeiten, sondern etwas zu tun, dass ihnen sinnvoll erscheint.
          Eine spannende Phase, in der du dich gerade befindest. Ich hoffe, du lässt uns in deinem Blog ein wenig an der Entwicklung teilhaben :-) Viele liebe Grüße, Annette

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          • Selbstbestimmt und eigenverantwortlich, dagegen ist ja nichts zu sagen. Und Geld ist beileibe nicht alles. Aus diesem Grund habe ich mal die Altersteilzeit gewählt, um früher zu gehen, aber mit Einbußen in der Rente. Nun ist der Zeitpunkt da und ich habe Bauchschmerzen, denn ich fühle mich noch zu jung und liebe meinen Beruf immer noch….

            Ja, ich werde berichten, wenn der Zeitpunkt da ist :-) . Bis dahin ist noch viel zu tun….

            Ich habe eher an die Länder gedacht, in denen die Industriestaaten für einen Hungerlohn und unmöglichen Arbeitsbedingungen produzieren lassen und Länder, in denen Kinderarbeit an der Tagesordnung ist.

            Liebe Grüße
            Anna-Lena

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            • Liebe Anna-Lena,
              der Blick über den Tellerrand hinaus ist natürlich sehr wichtig und ich bin voll bei dir – im Vergleich zu anderen Ländern ist nicht alles schlecht in Deutschland, was die Arbeitsbedingungen anbelangt. Nichtsdestotrotz plädiere ich mitunter aufgrund der Digitalisierung, vor allem im Bürosektor, auf eine Neu-Definition von Arbeit. Was das Verhältnis „Arbeit/Freizeit“ betrifft, ist es wichtig, ein gesundes Maß zu leben – ist es nicht schöner, arbeiten zu wollen als zu müssen?
              LG Sandra

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  5. … den Mut sich immer wieder neu zu definieren und nicht vom angepassten Strom mitreissen zu lassen, hasst du toll herausgearbeitet Annette… seinen eigenen Handschuhweg zu finden im Leben ist so was von herausfordernd! Bewundernde Grüße aus dem Norden an euch, Rita… :star.

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  6. try it, try it … jawoll und immer wieder, es gibt kein Zu-alt, kein Zu-spät, es gibt immer nur jetzt, Träume die gelebt werden und Visonen, die ins Leben gebracht werden wollen. Danke dir Annette und natürlich auch Sandra
    herzlichst Ulli

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  7. Habe deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen, mich anschließend gleich für den Newsletter angemeldet bei Sandra Vahle und per KLICK sofort die Kindle Edition gekauft! Müsste schon auf meinem Paperwhite sein. Ich bin gespannt! Liebe Grüße und schönes Wochenende!

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