Zum Sterben hinlegen

„Nun, da medizinisch auch für Hochaltrige so unglaublich viel möglich ist, wird das oft vergessen und schlimmer: übergangen, dass es mit 80 genug sein darf. Ich weiß, es ist für die anderen sehr schwer zu spüren, ob es gerade ein schlechter Tag ist. Oder ob es mit diesem Tag genug Leben war. Lebenssatt“.

Totenhemd-Blog

582DB2F2-2E30-4264-8C11-3EC0FEA79B05Als Helmut nicht mehr zu Hause leben konnte, beschloss er zu sterben. Er hörte auf zu essen, legte sich hin und starb binnen zwei Wochen.

Als Fritz mit 95 Jahren nach einer Erkältung schwächelte, wollten ihn die Pflegerinnen wieder aufpäppeln. Mit Astronautenkost oder so was in der Art. “Wohin wollen Sie ihn denn päppeln?“ fragten Tochter und Schwiegertochter. „Er hat gerade seinen 95. Geburtstag gefeiert und findet das sei alt genug.“ Die Pflegenden wunderten sich. So etwas hören sie nicht alle Tage. Meist soll das alte Leben weiter und weiter gehen.

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84 Gedanken zu “Zum Sterben hinlegen

  1. Anstandsgeleitete Sterbebegleitung ist etwas Wichtiges.
    Aber nicht einfach. Denn weiß der dem Tode nahe Mensch immer selbst, was er will? Seine Angehörigen? Woher? Und der Arzt hat einen Auftrag. Der durch einen Kodex und durch Gesetze festgeschrieben ist. Wir haben hier das Standardproblem: unser System ist (noch) nicht schlecht, wenngleich die Ökonomen alles beherrschen. Aber dass die verschiedenen Betroffenen und beteiligten Fakultäten an einen Tisch zu sitzen kommen, das gelingt nicht. Jeder wurstelt vor sich hin, kocht eigene Süppchen, die für sich genommen ihre berechtigte Würze besitzen, aber mit den anderen Gerichten nicht zusammengehen…

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  2. Liebe Annette!
    Ich verstehe Eure Meinung komplett. Und doch habe ich es oft genug genau anders herum erlebt. Dass Ärzte-Kollegen von der langen Rekonvaleszenz von ,,Alten“ genervt waren und nicht viel taten, um sie am Leben zu erhalten, obwohl noch soviel Energie und Lebenswille da war! Oder sie ,,mißbrauchten“ eigentlich noch ganz Rüstige Alte, um in meinen Augen nicht unbedingt Notwendiges zu tun: ,,Aber was soll man machen, wenn einen noch drei dieser oder jener OPs fehlen und Herr Greis doch vielleicht noch ein ganz klitzekleines bißchen profitieren könnte? Klar braucht er lange, bis er wieder halbwegs Lebensqualitöät hat nach der schweren OP, und vielleicht schafft er sie auch nicht, aber c´est la vie …
    Auch das ist ,,Achtung vor dem Leben“ die Entscheidung darüber wirklich dem Mensch selbst überlassen! Alles Liebe und danke für Deinen Artikel, Nessy

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    • Hallo Nessy, je nach Situation und Verfassung wären für mich professionelle Sterbebegleiter eine Alternative. Ärzte wollen (das unterstelle ich jetzt zumindest den meisten Medizinern ;-) ) Leben retten, nicht beenden, daher sind sie dann schon aufgrund der Natur ihres Berufes die falschen Ansprechpartner, wenn es darum geht, ob ein Mensch für immer gehen möchte. Liebe Grüße, Annette

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  3. Hallo Annette,
    als mein Opa 83 Jahre alt war, hatte er Gicht und auch den Grünen Star. Was Anfang der 80er Jahre grosse Probleme darstellte. Außerdem hatte er seine Frau, einen Bruder, seine kompletten Freunde und den grössten Teil seiner Schwägerinnen zu Grabe getragen.
    Das Leben machte ihm keinen Spaß mehr und somit hörte er auf zu Essen. Von der Familie blieb das unbemerkt. Er hat es geschickt versteckt.
    Als er wg. eines Schwächeabfalls ins Krankenhaus kam, war es zu spät und er schlief einfach ein.
    Als freidenkender Mann hat selber entschieden, wann es Zeit für ihn zum sterben war.
    Ich war damals 17 und untröstlich. Heute bewundere ich ihn jedoch für diesen Schritt.
    Ich wünsche dir einen schönen Abend.
    Liebe Grüße
    Monika

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  4. Danke für ein sehr interessantes Thema, Annette! Ich denke auch, dass man wenn es so weit ist, es selbst bestimmen können muß, ob man gehen will. Bin aktuell ja schon wieder über die Organspende-Debatte erstaunt, was „der Staat“ hier alles für „seine BürgerInnen“ betimmen will. LG Michael

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  5. Nach meinen Erfahrungen wissen Menschen sehr genau, wann ihnen das Leben zuviel wird, selbst in jungen Jahren, wenn Krankheiten eine Rolle spielen. Ich hoffe, wenn es einmal bei mir soweit ist, gibt es andere Gesetzte, welche ein würdihes Gehen erlauben und uns nicht weiter hier festhalten wollen …

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  6. Sehr interessantes und immer wieder aktuelles Thema. Wir haben hier in Canada das Gesetz: dying with dignity – aertztlich begleiteter Suizid.
    Es hat natuerlich auch seine Grenzen und bestimmte Voraussetzungen, aber daran wird staendig gearbeitet. Mir gefaellt der Gedanke, meinen Zeitpunkt zu gehen selbst bestimmen zu koennen. Visualisiert habe ich das fuer mich schon und dann klappt das auch so, hat beim meinem Vater und meinem Schwiegervater (beide waren 87 Jahre alt) sehr gut geklappt.
    Mit winterlichem Gruss aus dem Osten Kanadas.

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    • danke für deine interessante Rückmeldung und toll, dass daran immer weiter gearbeitet wird. Visualisierung und, dass es bei Vater und Schwiegervater so gut funktionierte, ist ebenfalls ein spannendes Thema :-) Liebe Grüße aus dem grau-regnerischen Dortmund, Annette

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  7. Pingback: jüngstetod | gokui

  8. Das langsame, qualvolle Ableben, mit Schlauch im Hals dahinvegetierend… oder ähnliches… finde ich schrecklich. Eine Kehrseite der heutigen medizinischen Möglichkeiten. Mit der Patientenverfügung gibt es immerhin ein Mittel, dem entgegenzuwirken. Trotzdem wird es ein Problem bleiben, dafür eine umfassende, systematisierbare Lösung zu finden. Bei meinen Eltern rücken diese Fragen auch immer näher. Ich hoffe, dass sie (und wir als Kinder) das bestmöglich hinbekommen.

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    • Das gemeinsame Gespräch darüber ist ein Anfang und die Patientenverfügung eine gute Entlastung für alle Beteiligten. Ich hoffe sehr, dass dieses vielleicht letzte Tabuthema bald keins mehr ist und wir alle darüber viel offener sprechen können…

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      • Der Schritt sich ins Auge zu sehen und zum Gespräch zu überwinden ist oft das schwerste. Bin ganz froh, dass bei uns der Anfang bereits getan ist.
        Auf jeden Fall wünschenswert und noch ein Stück Weg, dass es als Tabuthema aufgelöst wird. Ein paar andere gibt es ja auch noch. Liebe Grüße, Jo

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  9. Danke, dass du das Thema übernommen hast. Die Diskussion fängt ja langsam an, einen selber zu betreffen. Mein Großvater starb mit 86 Jahren zu Hause, nachdem er von meiner Mutter fast 10 Jahre gepflegt worden war und sie sich erlaubt hatte, eine Woche in Urlaub zu fahren. Sie behauptete, er sei aus „Frackigkeit“ gestorben (das meint im Rheinland bösartigen Eigensinn). Unterdrückter Hass, Enttäuschung und Missgunst waren bei uns die Sterbebegleiter.

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    • danke für deine offenen Worte. Ich hoffe, dieser Beitrag von Annegret Zander und der Totenhemd-Blog regen die Diskussion über dieses vielleicht letzte Tabu-Thema weiter an, damit es bald keins mehr sein muss

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  10. Wir hatten eine ganz liebe Tante, die trotz ihren hohen Alters (98 +) hellewach im Kopf war.
    Wenn man ihr zu ihren Geburtstagen sagte: “ Na, jetzt machst Du doch aber noch mindestens die 100 voll!“, reagierte sie verärgert darauf, weil auch sie den Ansicht war, dass es nun auch reicht.
    Sie erzählte immer, dass sie täglich („gut katholisch….“) zu Gott beten würde, dass er sie doch nun endlich zu sich nähme.
    Als ihr Sohn, weit über 70, aus seinem Haus in eine Seniorenwohnung umzog, betete sie: „Lieber Gott, Du weisst, dass ich mir wünsche, dass Du mich einschlafen lässt, aber bitte jetzt nicht in den nächsten vier Wochen: da zieht mein Sohn um, und da hätte er keine Zeit, sich um meine Beerdigung zu kümmern!“
    Sie lebte noch bis nach ihrem 100. Geburtstag weiter und schlief dann eines Tages still ein.

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  11. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich den Zeitpunkt selbst wählen werde. Mir graut nur davor, dass mir Demenz oder A. dazwschenkommen könnten. Selbst viele Therapien machen im Alter keinen wirklichen Sinn mehr. Chemotherapie, um 3 Monate länger zu leben ? Für mich keine Option…..die Medizin hat dort noch eine Lücke hinterlassen. Auf Teufel komm raus alt werden lassen, aber nicht mehr wirklich leben zu können, ist nicht die ultimative Lösung. Danke für das Vorstellen von diesem tollen Beitrag, liebe Annette. Herzliche Grüße, Barbara

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  12. Nun ist alte Menschen pflegen und am Leben erhalten kein unerhebliches Geschäft und dabei rückt der Mensch oft auch in den Hintergrund. Der pflegebedürftige Mensch mit seiner Rente und Pflegestufe, Rente für den der pflegt kann zu einem Interessenkonflikt fürhen. Medizinische Versorgung und lebenserhaltende Maßnahmen sind Fluch und Segen zugleich. Es muss der blanke Horror sein, wenn die Maschine Körper immer weiter läuft, obwohl sie technisch nicht mehr wirklich funktioniert und das Rechenzentrum alles zu 100% mitbekommt und den ganzen Tag wenig beachtet rumliegt und nichts ändern kann. Man wird geboren ohne gefragt zu werden, warum darf man nicht einfach gehen ohne andere zu fragen …

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    • das sehe ich ganz genau so, doch leider müssen wir da alle noch viel Überzeugungsarbeit leisten, bis sich an der heutigen – oft sehr entmündigt erscheinenden – Situation etwas ändert. Die Patientenverfügung ist ein Anfang und ich hoffe, dieser Beitrag regt viele Menschen dazu an, dieses Thema weiter zu denken und mit anderen zu diskutieren

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  13. Als ich mit Lungenentzündung im Krankenhaus war, lag mir gegenüber eine sehr alte Dame, die nicht mehr essen wollte und so aussah, als ob sie gerne sterben würde. Aber in Dänemark ist das Pflegepersonal gesetzlich verpflichtet, einen Menschen am Leben zu erhalten und wenn nötig künstlich zu ernähren. Wenn sie es dann wenigstens über Tropf machen würden, aber nein, das wird mit Schlauch durch die Speiseröhre gemacht. Das ist für so einen alten, lebensmüden Menschen doch die reine Tortur. Es ist wirklich am besten, wenn man in so einer Situation nicht im Krankenhaus liegt.
    Das Pflegepersonal war ansonsten sehr liebevoll mit der alten Dame und nahmen sich Zeit, zwischendurch mal bei ihr zu sitzen und mit ihr zu sprechen. Aber verhungern lassen dürfen sie niemanden.

    Es ist wirklich am besten, wenn man sich vorher schon mal Gedanken macht und u. U. jüngere Familienmitglieder oder Freunde mit einbezieht, damit man später nicht hilflos der Maschinerie ausgeliefert ist, sondern Unterstützung hat.

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  14. Seit das Sterben in Altenheime und Krankenhäuser ausgelagert worden ist, wissen die Menschen nicht mehr wie sterben geht, wissen nicht mehr, dass es dazugehört. Die Angehörigen haben Angst, dass der Mensch verhungert oder verdurstet weil sie nicht mehr um den natürlichen Weg wissen.
    Unzählige Bücher und Kurse über das werdende Leben, so wenige um das gehende.

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  15. „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“ – Psalm 90:10

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