Die beiden, die Hunde, die Schafe und der Wald

An einem der ersten frostigen, sonnigen Herbsttage besuche ich Ariane und Frank. Wir sitzen im Warmen mit Blick auf Wiese und Wald, der frisch gebrühte Kaffee in meiner Tasse duftet. Von der Wiese unmittelbar hinter der Terrasse beäugt uns neugierig eine kleine Herde Schafe.

Ihrer Aufmerksamkeit entgeht nichts, Foto: Lena Hültenschmidt

Die beiden gebürtigen Dortmunder lebten schon in den verschiedensten Stadtteilen. Dortmunder Norden, Westpark, Hörde und Schnee bleiben mir aus dem Gespräch in Erinnerung – eine bunte Mischung. Ariane verbrachte ihre Kindheit in der fußläufigen Umgebung  des jetzigen Zuhauses und träumte seither davon, später wieder hier zu leben.

Ariane und Frank fielen mir zunächst durch ihr unaufdringliches Engagement für den Natur- und Tierschutz auf, insbesondere für problematische Situationen in meiner Heimatstadt Dortmund. Sie machten mich neugierig, weil sie für das Thema brennen, ohne dabei vorwurfsvoll den moralischen Zeigefinger zu heben.

Herbst „Auf dem Schnee“, Foto: privat

Beruflich geht Frank als gelernter Diplom-Ingenieur einer Tätigkeit als angestellter Projektleiter für Brandschutzanlagen nach. „Einen geregelten Acht-Stunden-Tag kenne ich gar nicht. Viele Jahre legte ich mit dem Firmenwagen bis zu 60tausend Kilometer jährlich zurück“, erzählt er. Seit einiger Zeit arbeitet Frank häufiger im Home-Office und betreut inzwischen viele Kunden im Ruhrgebiet, so dass er die bundesweite Fahrerei deutlich reduzieren konnte.

„Das ländliche Leben empfinde ich als Ausgleich und Ruhepol zum Berufsalltag“

sagt er. Seine Frau Ariane wusste nach ihrer Schulzeit erst nicht, was sie werden sollte: „Ich studierte zunächst Pädagogik. Das war allerdings überhaupt nicht mein Ding und so stolperte ich in die Medienbranche, absolvierte ein Volontariat bei einer Fernsehproduktionsfirma, sowie anschließend eine Ausbildung zur Multimedia-Publisherin beim Journalistenzentrum Haus Busch“. Ariane möchte jedoch in einem Bereich arbeiten, bei dem sie Menschen mehr unterstützen kann. Darin sieht sie ihren beruflichen Sinn und schließt zusätzlich die Ausbildung als Heilpraktikerin ab. In diesem Beruf arbeitet sie heute freiberuflich: In ihrer Praxis zuhause und vor Ort bei ihren Kunden. Ihr Schwerpunkt ist die Behandlung von Rückenleiden.

Anfangs noch zu dritt: Chuca, und Joshi mit seiner Mutter, Foto: privat

Seit Februar 2014 lebt das sympathische Paar mit zwei Hunden im äußerst südlich gelegenen Dortmunder Stadtteil Schnee an der Stadtgrenze zu Witten und Herdecke. Zu ihrem Haus zählt eine große Grünfläche. Bereits beim Einzug in das 1896 erbaute Haus, das sie nach und nach renovieren, denken die beiden:

„Zwei oder drei Schafe wären schön“

Eine der „Skudden“, Foto: privat

Kaum hatten sie die Idee ausgesprochen, erfahren sie von ihrem Nachbarn, dass er seine Schafhaltung in etwa einem Jahr aufgeben möchte. Entgegen der Planung, vergehen nur wenige Tage, als die sieben Schafe des Nachbarn bei ihnen einziehen: „Wir hatten nichts vorbereitet. Keine Zäune, keinen Stall. Notdürftig richteten wir den Carport her und stellten einen Elektrozaun auf. Wir konnten quasi Heu kaum von Stroh unterscheiden, hatten von Schafhaltung überhaupt keinen Schimmer“, erzählen mir die beiden lachend, „‚Learning by doing‘ eigneten wir uns in kürzester Zeit an, was wir über artgerechte Schafhaltung wissen müssen. Einige belächelten uns, weil wir den Schafen im Sommer Sonnenschirme auf die Wiese stellten, denn obwohl wir am Wald wohnen, bietet die Wiese der Herde kaum Schatten“.

„Wellness für Schafe“

Der erste Nachwuchs; Foto: privat

Die Zwei lassen sich davon nicht beirren und ermöglichen ihren Schafen – allen Unkenrufen zum Trotz – ein mehr als nur artgerechtes Leben. Ariane und Frank erzählen mir von den vielen schönen, aber auch einigen traurigen Erlebnissen mit ihren Tieren, während Hündin Chuca entspannt hinter mir liegt und Joshi, Hund Nr. 2, selig neben seinem Frauchen schnarcht.

„Es erdet mich, hier zu wohnen“, fügt Ariane hinzu. „Die Schafe strahlen Ruhe aus und sie werden, obwohl sie früher als reine Nutztiere wenig Kontakt zu Menschen hatten, immer zutraulicher“.

Vom Nutztier zum Therapie-Schaf?

Gute Freunde, Foto: privat

Zur Zeit leben siebzehn Schafe auf dem Grundstück: ‚Skudden‘, die einmal im Jahr geschoren werden und kurzhaarige ‚Kamerunschafe‘, die es dafür im Winter etwas wärmer brauchen.
Bei dieser guten Pflege können Schafe bis zu zwanzig Jahre alt werden. Ariane nimmt mich mit auf die Wiese und schnell merke ich die beruhigende Wirkung, als viele neugierige, warme und ganz weiche Schafsnasen an meinen Händen schnüffeln und auf Leckerchen hoffen. Selbst aus früher aggressiven Exemplaren werden neugierige und verfressene Fellnasen, die dabei gerne ein paar Streicheleinheiten mitnehmen. So zutraulich habe ich Schafe noch nie erlebt.

Windräder bringen den Traum in Gefahr

Vor zwei Jahren sollten nur 450 Meter entfernt Windkraftanlagen aufgestellt werden. Innerhalb von tausend Metern Radius dokumentiert seither die, von Ariane, Frank und Nachbarin Lena ins Leben gerufene, Bürgerinitiative „Rettet den Schnee“ sogenannte planungsrelevante bzw. windkraftsensible Tierarten, wie es im Amtsdeutsch heißt.
Gemeinsam mit anderen Naturschützern und allen, die das Projekt unterstützen wollen, kartieren sie Horste, halten sämtliche vor Ort lebenden Vogel- und Tierarten fotografisch fest, erstellen Gutachten von Rotmilanen, Uhus, Eulen und Fledermäusen. Sie verbringen seit zwei Jahren daher jede freie Minute im Wald und auf dem Feld, um die Stadt davon zu überzeugen, dass es sich hier um schützenswerten Raum handelt, der nicht für Windräder genutzt werden darf. „Unsere Nerven lagen manchmal blank“, erzählt Ariane. „Trotz der wahnsinnig anstrengenden Zeit , haben wir gleichzeitig viele neue und tolle Menschen kennen gelernt“.

Über den Link könnt ihr die Petition unterschreiben: „Rettet den Schneehttps://www.change.org/p/rettet-den-schnee-nein-zu-windenergieanlagen-in-dortmund-schnee-löttringhausen-großholthauser-mark

Frank und Ariane bei der Veranstaltung für Waldbürgerinitiativen bei Peter Wohlleben in der Eifel, Foto: privat

Im November 2018 erhalten sie den Umweltpreis der Stadt Dortmund für ihren unermüdlichen Einsatz

Doch gerettet ist ihr Traum damit noch nicht, daher haben die beiden eine weitere Petition für alle Wälder Dortmunds ins Leben gerufen, die noch jede Menge Unterstützung brauchen kann und natürlich, genau wie dieser Beitrag, gerne weiter geteilt werden darf: https://www.change.org/p/kein-harvestereinsatz-in-dortmunder-wäldern

„Nicht ob, sondern wie?“

„Schäfer“-Hündin Chuca, Foto: Lena Hültenschmidt

lautet meine Frage an uns alle auf der Suche nach einem guten Kompromiss für Mensch, Tier und Natur. Wie kann es gehen? Wir wollen alle gut leben, es im Winter warm und im Sommer nicht zu heiß zu haben. Wir alle sind gefragt und können die Verantwortung nicht allein unseren Politikern und wirtschaftlichen Interessen überlassen:

Viele Köpfe mit vielen Ideen bewirken viel

Tut euch zusammen! An Ariane und Frank könnt ihr sehen, wie sie von Null zu ExpertInnen ihrer Sache wurden und etwas bewirken: Erst nur für ihre Schafe, dann für ihren Vorort und als nächstes für die Wälder unserer Stadt.

Ihr Lebensmotto: „Bei Problemen hin- statt wegsehen. Ins Gespräch kommen und Hilfe anbieten, statt ‚Geht uns nichts an-Denken‘. Nachbarschaftshilfe bringt sehr viel: Und zwar ohne Streit und ohne die Würde des anderen zu verletzen“. Was für ein wunderbares Motto!

Ihre Wünsche für die Zukunft: Viele Träume haben wir uns hier schon erfüllt, daher wäre es schön, wenn wir alles so weiter machen können wie bisher und unsere Arbeit in der Bürgerinitiative und mit den Tieren ein weiteres Umdenken bei den Menschen ermöglicht.

Weitere Infos auf der öffentlichen Facebook Seite „Rettet den Schnee“ oder auf www.rettetdenschnee.de

Text: Annette Mertens
Fotos: privat und Lena Hültenschmidt

Fotos bitte per Klick vergrößern:

„Nicht ob, sondern wie“

69 Gedanken zu “„Nicht ob, sondern wie“

      • Ich weiß, hier so speziell und wißbegierig zu sein ist eher ungewöhnlich… Kleine Anekdote am Rande: ich mit meinen Kindern in Hellabrunn (Zoo München) auf einer Anhöhe. Da unten, was sind das für Tiere. „Lamas,“ gelangweilt. „Hm, gewiß, südamerikanische Schafkamele, genauer?“ „Guanakos?“ „Schaut mal den hellen Behang vorne an der Brust!“ „Vikunjas!“ Vor uns dreht sich ein Mann auf einer Bank um. „Das ist mal eine Freude! Jemand, der es genau nimmt…“ Nun, das dauerte – der Mann war der pensionierte Tierarzt des Zoos und wir redeten noch lange. Also, ganz richtig, das Thema Tiere eher meiden, sonst könnte es all zu ergiebig werden!

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  1. Liebe Annette,
    wie schön, daß Du mir diese nachhaltige „Bekanntschaft“ vermittelt hast.
    Selbstverständlich habe ich alle Petitionen sogleich unterschrieben.
    Ich habe bisher – von einer Ausnahme abgesehen – auch immer wieder die Erfahrung gemacht, daß an Schafe in Streichelhinsicht nicht heranzukommen ist. Das hat gewiß damit zu tun, wie achtlos oder wie liebevoll mit den Tieren umgegangen wird. Es freut mich sehr, von solch naturliebhaberisch-konstruktiven Alternativen zu lesen und ich wünsche allen Beteiligten gutes Gelingen.
    Einen Hinweis auf ein Buch über Schafe aus der sehr empfehlenswerten Reihe NATURKUNDEN
    möchte ich noch hinzufügen, vielleicht ist es für Ariana und Frank interessant:
    https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/schafe.html?lid=28

    Herzensgruß von mir an Dich ❄ 💖 ❄
    Ulrike von Leselebenszeichen

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    • Hallo liebe Ulrike,
      freut mich sehr und danke für deine Unterstützung :-) <3 Die Buchempfehlung gebe ich direkt weiter.
      Du beeindruckst mich immer wieder mit deiner riesigen Bandbreite an Buchwissen und -empfehlungen. Die zusätzlichen Buchkäufe durch dich erfreuen den Buchhändler meines Vertrauens sehr ;-)
      Ich wünsche dir angenehme Weihnachtsfeiertage und alles Liebe für 2019, auf bald, viele liebe Grüße, Annette

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      • Verbindlichen Dank, liebe Annette,
        für Dein Lob und Deine guten Wünsche.
        Ich bin gelernte Buchhändlerin und bin buchstäblich vielseitig interessiert. Gerne teile ich mein Bücherwissen, wenn es sich so passend fügt.
        Ich wünsche Dir besinnlich-entspannte, heitere Weihnachtsfesttage und ein beschwingtes und herzerfülltes Jahr 2019.
        Auf Wiederlesen! :mrgreen:
        Ulrike

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  2. Wie schön!
    Ja, glückliche Tiere machen immer auch die Menschen glücklich.
    Die freundlichen, wolligen Landschaftspfleger stehen dem in nichts nach, auch wenn so manche von ihnen ihre speziellen Eigenarten haben.
    Da ich auf einem winzigen Dorf aufgewachsen und später jahrzehntelang in einem kleinen Weiler lebte, erinnere ich mich immer wieder gerne an die Osterzeit, die neugeborenen Lämmchen, das Schafscheren und im Winter an das Verstricken von Schafwolle.
    Verschneite Grüße aus dem Bergischen Land…
    von Rosie

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  3. Schöner Bericht mit tollen Helden ! Und wenn mich demnächst wieder jemand : Du Schaf …nennt werde ich mich ein klein bisschen geehrt fühlen :-)
    Wünsche dir einen schönen 2ten Advent, Lieber Gruss aus Hamburg von Jürgen

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  4. Danke für eine weitere tolle Geschichte, Annette! Wirklich wie im Märchen, wobei da jede Menge Arbeit drin steckte und steckt. Den Bürgerpreis haben sich die beiden wirklich verdient. Jetzt Windmühlen? Nee, danke! Deutschland exportiert doch sowieso schon mehr Strom als hier im Land benötigt wird. Wann kommen denn endlich mal Solar-Wasserstoff-Anlagen die es in Form von Brennstoffzellen für U-Bote längst gibt? Natürlich unterschrieben! Hoffentlich klappts! LG Michael

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  5. Danke, liebe Annette. fuer diesen grossartigen Beitrag. Wie sehr Natur beruhigend wirken kann, das verspueren wir hier tagtaeglich mit den Rehen auf unserem Grundstueck. Sie sind ein wunderbarer Ersatz fuer Schafe – die wir hier nicht halten duerfen.
    Liebe Gruesse und eine schoene Adventszeit,
    Pit

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    • wer braucht Schafe, wenn er Rehe hat ;-) Im Ernst, weshalb dürft ihr keine Schafe halten? Hat das etwas mit den Rinder-Ranches zu tun? Da war doch mal was mit Schafs- und Rinderzüchtern, die sich in die Quere kommen, oder? Liebe Grüße zum Nikolaus und auf bald, Annette

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      • Da hast Du Recht, leibe Annette! Hinzu kommt, dass Schafe Arbeit machen, Rehe aber nicht. :D Im Ernst, es ist nicht die Arbeit selber, es ist die Verantwortung, dass man sich um die Tiere, die man haelt, kuemmern muss.
        Dass wir Schafe nicht halten duerfen hat nichts mit dem alten Streit zwischen Rinderbaronen und (paeter hinzugekommenen) Schafzuechtern zu tun, sondern mit unserem Kaufvertrag. Die Verkaueferin [sie hat dieses Haus und en Teil des Grundstuecks, das wir haben, nach dem Tode ihres Mannes verkauft und lebt nebenan, ohne eine Trennung der Grundstuecke durch einen Zaun] hat sich in einem Zusatz, hier „covenant“ genannt, einige Einschraenkungen fuer uns ausbedungen – Einschraenkungen, die ich verstehen kann, weil sie sonst ihre Lebensqualitaet mindern wuerden. So duerfen wir z.B. weder Bed-and-Breakfast Haeuschen auf unserem Grundstueck errichten noch Campen [Zelt oder Wohnwagen] erlauben, um nur zwei Dinge zu nennen, und eben auch kein Vieh halten. All diesen Einschraenkungen haben wir ohne Bedenken zugestimmt, weil wir das ohnehin nicht beabsichtigt hatten. Von staedtischer Seite aus haette es in dieser Hinsicht uebrigens keine Beschraenkungen gegeben. Ziegen und Schafe werden durchaus innerhalb des Stadtgebiets gehalten.
        Liebe Gruesse aus einem herbstlich trueben Fredericksburg,
        Pit

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    • danke, euch beiden. Den Eindruck hatte ich auch. An anderen Orten auf der Welt rennen die Schafe sonst meistens weg, wenn ich mich ihnen vorsichtig nähere. Hier passierte genau das Gegenteil: Zutrauliches und neugieriges Schnüffeln. So schön :-)
      Ich wünsche euch ebenfalls einen schönen Nikolaustag und liebe Grüße, Annette

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  6. Das tat jetzt richtig gut, diesen interessanten Beitrag zu lesen. So spannend geschrieben und mit so vielen herrlichen Bildern! Ja, wenn Menschen sich mit solch wohlgemuten Schwung ohne Verbissenheit engagieren, kann einiges erreicht werden und sie selbst werden bereichert, wie man auch an den Bildern sehen kann! S, dann unterschreibe ich mal. ,) Herzlich, Petra

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  7. Wie das Leben manchmal so spielt, und dann findet man einen Platz, wo man einen Unterschied machen kann. Wunderbar, dass Frank und Ariane so offen waren und sich so energisch engagiert haben. Solche Initiativen sind immer noch dringend notwendig. Danke an die beiden, dass sie sich so einsetzen!

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